30. Juni – 22. Juli 2016 – Zwischenzeitlich hatten wir unsere Flüge zurück nach Europa gebucht. Irgendwie fühlte sich diese Reise nicht mehr richtig an, wir freuten uns über nichts und niemanden mehr und waren auch körperlich ziemlich ausgelaugt. Bis vor kurzem hatten wir noch mit so vielen Dingen immer Glück: wir trafen auf die richtigen Menschen, das Wetter war fast immer so, wie wir es uns vorgestellt hatten und wir fuhren durch aufregende und abwechslungsreiche Landschaften. Die letzten Monate waren anders. Wir genossen eigentlich gar nichts mehr: nicht unsere Freiheit und noch viel weniger unserer Umgebung. Wir waren richtiggehend reisemüde und hatten so gar keine Lust mehr, unser Zelt jeden Tag woanders aufzustellen. Dazuhin noch bei Wind und Regen. Die wenigen Menschen, die wir unterwegs trafen waren auch nicht so, wie wir erhofft hatten. Das alles machte uns ziemlich depressiv. Normalerweise können wir uns gegenseitig motivieren, da es meistens einem von uns besser ging, doch auch das war jetzt nicht mehr der Fall. Und da wir an keinem Wettrennen teilnahmen noch uns irgendetwas beweisen mussten buchten wir also Flüge zurück nach Europa.

Aber noch durften wir ein Paar Wochen Radeln, denn das machte uns noch immer Spaß: draußen sein und in die Pedale treten. Wir befanden uns mittlerweile auf dem Weg zum Jasper und Banff Nationalpark in den Rocky Mountains. Wir waren uns allerdings nicht bewusst, dass wir genau am Kanada-Tag-Wochenende unterwegs waren – ein langes Wochenende, an dem alle Kanadier anscheinend in den Park wollten und wir so gemeinsam mit tausenden motorisierten Touristen in den Park einrollten. Wir hatten einmalige Aussichten bei extremem Verkehr. Uns war auch nicht wirklich klar, wie teuer es eigentlich war, um Zeit im Park zu verbringen und ärgerten uns ein bisschen darüber, dass wir genauso viel bezahlen mussten, wie alle Autofahrer auch. Denn hier wird nach Kopf und nicht nach Fahrzeug bezahlt. Noch nerviger war, dass alle Campingplätze voll waren und noch nicht einmal für unser kleines Zelt ein Platz frei war.


Während wir uns überlegten, was wir tun sollten, kam ein Ranger auf uns zu und bot uns an, neben ihrer Hütte auf dem nahegelegenen Campingplatz zu übernachten. Wir akzeptierten sofort. Am Campingplatz warnten sie uns allerdings vor einem Schwarzbären, der derzeit hier sein Unwesen trieb. Trotzdem stellten wir unser Zelt neben dem Häuschen der Ranger auf und waren froh dort zu sein, da wir sowohl Bad als auch Küche mitbenutzen durften während es draußen wieder einmal in Strömen regnete.

Es regnete die ganze Nacht durch, aber unser Zelt blieb trocken. Gegen 10 Uhr setzte sich die Sonne endlich durch und wir konnten im Trockenen weiterradeln. Unsere nächste Destination war Jasper, wo wir ein Paar Tage bleiben wollten, um von dort Tagestouren in die Umgebung zu machen. Die Landschaft um uns herum war fantastisch und wir versuchten, die vielen Autos auszublenden und uns nicht aufzuregen. Plötzlich sahen wir in der Ferne einige Elche, die in unsere Richtung durch einen See hindurch stapften. Auch das war wunderschön anzusehen und wir waren auch die ersten, die die Elche bemerkt hatten. Innerhalb kürzester Zeit hielten allerdings mindestens 50 Autos am Straßenrand und sicher über 100 Menschen machten Selfies mit den Elchen, als wären sie irgendwelche zahmen Haustiere.


In Jasper hatten wir Glück, dass der Campingplatz immer einige Plätze für Radler und Wanderer freihielt und wir mussten nicht wild zelten. Dort trafen wir Greg, einen kanadischen Lehrer an einer First Nation Schule, den wir die nächsten Tage noch öfters treffen sollten. Wir haben auch Willi, Anne und Arthur getroffen – eine supernette deutsche Familie, die uns zweimal zum Abendessen eingeladen hatte, weil sie von unserer Reise so beeindruckt waren. Wir fuhren mit ihnen auch zum wunderschönen Lake Maligne, wo wir ein bisschen wanderten.




Ab jetzt gab es für uns nur noch eine Straße durch den Nationalpark. Der Verkehr war deutlich geringer je weiter wir in den Park hineinfuhren und das Radeln hat hier wieder sehr viel Spaß gemacht: die Landschaft änderte sich ständig, wir sahen einige wilde Tiere einschließlich Bären und schafften es immer rechtzeitig zu einem der Wildnis-Campingplätze. Diese Campingplätze sind sehr einfach, meist gibt es nur ein Plumpsklo, Feuerholz und wenn wir Glück hatten Trinkwasser. Auf jedem Stellplatz standen Bänke und ein Tisch und so mussten wir nicht auf dem Boden kochen und essen. Wir haben nur sehr selten andere Camper gesehen, da sich die Plätze meist auf einer großen Fläche im Wald verteilten.
In Lake Louise trafen wir wieder auf Greg. Wir kamen am späten Nachmittag an und ergatterten uns den letzten freien Campingplatz (es war an der Zeit für uns, mal wieder zu duschen). Da wir zu müde waren, um selbst zu kochen, gönnten wir uns ein Abendessen im Restaurant. Dort saß dann schon Greg, der genüsslich seinen Hamburger verschlang. Er war eben erst angekommen und wollte eigentlich im Hostel übernachten, das war aber schon voll. Nun musste er also auch wieder zelten. Da wir wussten, dass er auch auf dem Campingplatz keine Chance hatte, boten wir ihm an, sein Zelt bei uns aufzuschlagen. Und so verbrachten wir ein Paar gemeinsame Tage in Lake Louise, Greg wandernd und wir radelnd: Nach Lake Moraine und zum See Louise. Da die Parkplätze bei den Seen bereits überfüllt waren, schloss die Polizei kurzerhand die Straße zum Lake Moraine und wir konnten fast alleine die 15km zum See hochradeln. Seit ich mit Johan zusammen bin wollte er mit mir nach Kanada zum Skifahren reisen und mir Lake Louise zeigen. Er hatte hieran schöne und romantische Erinnerungen. Allerdings war er dort im Alter von 12 Jahren mit seiner Großmutter und das ist immerhin schon mehr als 40 Jahre her. In der Zwischenzeit hat sich dann doch einiges verändert und von Romantik ist mit Tausenden von Touristen nicht mehr viel übrig gebliebenen. Daher waren wir beide ziemlich enttäuscht und fuhren nach ein Paar Fotos schnell wieder zurück.




Bis nach Banff galt es noch einige Gipfel zu überwinden. Wir sahen absolut atemberaubende kristallkare Seen von weit oben und konnten sogar ein Paar schöne Sommertage genießen. Als wir dann in Banff ankamen, schüttete es wieder aus allen Kübeln und das tagelang. Auf dem Campingplatz bekamen wir zum Glück eine Plane, die wir über unseren Platz spannten, damit wir im Trockenen kochen konnten. Leider konnten wir aufgrund des zu schlechten Wetters nicht wandern oder Ausflüge machen und so fuhren wir nach zwei Tagen weiter in Richtung Calgary.

Johans Onkel Reinier emmigrierte in den frühen 50er-Jahren nach Kanada und jetzt hatten wir die Gelegenheit, ihn und seine Familie zu besuchen. Reinier ist verheiratet und hat drei Söhne und da wir über eine Woche in Calgary verbrachten, konnten wir auch fast alle besuchen.
Aus Anchorage hatten wir ein riesiges Paket vorausgeschickt mit Ersatzteilen, neuen Klamotten und Geschenken von Menschen, die wir unterwegs getroffen hatten, um ein bisschen an Gewicht loszuwerden. Beim ersten Abendessen mit Reiner und seiner Frau Ann freuten wir uns schon auf unser Paket. Wir mussten uns allerdings sagen lassen, dass all unsere Sachen in einem Bibelladen verkauft worden sind. Als das Paket vor ein Paar Monaten ankam wussten Johans Verwandte nicht mehr, was sie damit machen sollten und woher es kam und dachten, das sei im Second-Hand-Shop wohl am besten aufgehoben. Es dauerte einige Tage, bis wir über diesen Schock hinwegkamen. Am Ende haben wir dann alles geregelt und können heute darüber schmunzeln. Wir hatten trotz allem eine sehr schöne Zeit in Calgary, wurden lecker bekocht – sogar mit Johans holländischer Lieblingsspeise – und am Ende waren wir traurig, wieder abreisen zu müssen. Denn wir wissen ja nicht, wann und ob wir sie überhaupt noch einmal wiedersehen.




Interessant zu lesen, wie andere Kanada erfahren haben. Ich habe das Land bei wesentlich besserem Wetter 2015 von Vancouver bis Halifax mit dem Rad durchquert. Übrigens, bei den Elchen auf den Bildern handelt es ich um Wapitis. Ich habe auch keine gesehen 😉
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Liebe Bärbel,
bin wirklich tief beeindruckt, was Du geleistet hast. Dein Mut, sich aus dem dem Alltag und Sicherheit zu verabschieden und solch eine Reise über viele Jahre und Kontinente zu machen, verdient großen Respekt. Gilt natürlich auch für Johan – unbekannterweise.
Bin gespannt, ob bald mehr zu lesen ist oder ob Du jetzt dauerhaft sesshaft wirst?
Viele Liebe Grüße aus Stuttgart
Georg(ina)
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Liebe Georgina,
vielen Dank! Schön von dir zu hören, ich denke immer mal wieder an dich, vor allem, weil wir seit Kurzem (vorübergehend) in Dettensee wohnen, bis wir wissen, wo wir es langfristig aushalten können :-). Wenn das noch möglich ist… Würde mich freuen, dich wiederzusehen! Herzliche Grüße Bärbel
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